Transsexuelle Menschen hören heute oft diesen Satz:
„Was jammert ihr denn, es ist doch heute alles OK in Deutschland. Es darf doch jeder so tun wie er will. Es muss jetzt auch mal gut sein, mit Sonderrechten…“.
Dass diese Aussage für jede transsexuelle Person ein Stich ins Herz ist, ist vielen nicht bewusst, weil sie die aktuelle Rechtslage transsexueller Menschen in Deutschland nicht kennen. Vorab möchte ich klarstellen:
Transsexuelle Menschen fordern keine Sonderrechte. Sie fordern nur gleiche Rechte!
Die rechtliche Anerkennung des Geschlechts von transsexuellen Menschen wird in Deutschland in einem eigenen Gesetz geregelt. Es stammt aus dem Jahr 1981 und nennt sich
„Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung
der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG)“.
Bereits mehre Passagen des Transsexuellengesetzes wurden vom Bundesverfassungsgericht (BVerG) als verfassungswidrig erklärt und deren Anwendbarkeit ausgesetzt. So war bis zum Beschluss des BVerG vom 27.05.2008 (1 BvL 10/05) eine „Zwangssterilisation“ (dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit) der betroffenen Personen zur Vornamens- und Personenstandsänderung erforderlich. Auch den Zwang, zur genitalangleichenden Operation hat das Verfassungsgericht erst 2011 als verfassungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber bereits mehrfach zur Neuregelung des Transsexuellengesetzes aufgefordert. Jedoch hat sich die Politik bisher noch nicht an eine Revision, Änderung oder Abschaffung des Gesetzes gewagt. Betroffene Menschen in Deutschland werden somit rechtlich noch immer wie in den 1980er Jahren behandelt.

Wie bereits beschrieben, legt das sog. Transsexuellengesetz fest, wie das Verfahren zur rechtlichen Anerkennung des geänderten Personenstands und Vornamens durchgeführt wird. Die Verfahrensdauer beträgt zwischen 3 Monaten und bis zu 3 Jahren. Nachfolgend wird das Verfahren (Abhängig vom Bundesland und Amtsgericht) beschrieben.
In der Regel werden vom Amtsgericht Psychologen und/oder Psychiater mit der Begutachtung beauftragt. Nicht wenige transsexuelle Menschen berichten, dass sie beim Begutachtungsprozess psychische Pathologisierung oder intime Fragen zu Sexualpraktiken erfahren mussten. Das Bundesverfassungsgericht hat die teilweise noch vorhandene Verfahrenspraxis (Pathologisierung der antragstellenden Person) mancher Gutachter*innen kritisiert und als nicht zulässig eingestuft.
Mit dem Beschluss vom 22.02.2017 (1 BvR 747/17) wurde in Absatz 12 wie folgt entschieden:
„a) Die Begutachtung nach § 4 Abs. 3 TSG darf sich nur auf solche Aspekte beziehen, die für die sachliche Aufklärung der in § 1 Abs. 1 TSG normierten Voraussetzungen des Namens- und Personenstandswechsels relevant sind. Wenn sich – wie die beschwerdeführende Person unter Berufung auf empirische Studien geltend macht – Begutachtungen nach § 4 Abs. 3 TSG in der Praxis auf Informationen erstrecken sollten, die nach heute geltenden diagnostischen Kriterien zur Feststellung der Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 TSG nicht relevant sind, ist dies durch § 4 Abs. 3 TSG nicht gedeckt. Vor allem wegen des regelmäßig intimen Charakters der Fragen, die in der Begutachtung nach § 4 Abs. 3 TSG gestellt werden, beeinträchtigt dies die Grundrechte der Betroffenen. Die Gerichte haben daher bei der Erteilung des Gutachtenauftrags und bei der Verwertung des Gutachtens insbesondere darauf zu achten, dass die Betroffenen nicht der Begutachtung hinsichtlich solcher Fragen ausgesetzt sind, die für die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 TSG keine Bedeutung haben. Außerdem darf das Gutachtenverfahren nach § 4 Abs. 3 TSG nicht dazu genutzt werden, die Betroffenen zu einer therapeutischen Behandlung ihrer (als vermeintliche Krankheit begriffenen) Transsexualität hinzuführen.“
BVerfG 1 BvR 747/17 vom 22.02.2017
Die Kosten für die Begutachtung hat i.d.R. die antragstellende Person selbst zu bezahlen. Die Vergütung der Gutachter*innen richtet sich nach § 9 JVEG Anlage 1 (Honorargruppe M3) und beträgt aktuell € 100,00 pro Stunde (Stand: 2020).
Auszug aus Anlage 1 – § 9 JVEG
Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtungen spezieller Kausalzusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen), insbesondere Gutachten
– zum Kausalzusammenhang bei problematischen Verletzungsfolgen,
– zu ärztlichen Behandlungsfehlern,
– in Verfahren nach dem OEG,
– in Verfahren nach dem HHG,
– zur Schuldfähigkeit bei Schwierigkeiten der Persönlichkeitsdiagnostik,
– in Verfahren zur Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung (in Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis zu neurologisch/psychologischen Fragestellungen),
– zur Kriminalprognose,
– zur Aussagetüchtigkeit,
– zur Widerstandsfähigkeit,
– in Verfahren nach den §§ 3, 10, 17 und 105 JGG,
– in Unterbringungsverfahren,
– in Verfahren nach § 1905 BGB,
– in Verfahren nach dem TSG,
– in Verfahren zur Regelung von Sorge- oder Umgangsrechten,
– zur Geschäfts-, Testier- oder Prozessfähigkeit,
– zu Berufskrankheiten und zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bei besonderen Schwierigkeiten,
– zu rechtsmedizinischen, toxikologischen und spurenkundlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit einer abschließenden Todesursachenklärung, ärztlichen Behandlungsfehlern oder einer Beurteilung der Schuldfähigkeit.
So verlangen oft die Krankenkassen bzw. der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) die Offenlegung bzw. Einsicht in die Gutachten des TSG-Verfahrens. Die Gutachten sind, wie aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.02.2017 (1 BvR 747/17) abgeleitet wird, ausschließlich zur „Feststellung der Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 TSG“ vorgesehen:
„a) Die Begutachtung nach § 4 Abs. 3 TSG darf sich nur auf solche Aspekte beziehen, die für die sachliche Aufklärung der in § 1 Abs. 1 TSG normierten Voraussetzungen des Namens- und Personenstandswechsels relevant sind. Wenn sich – wie die beschwerdeführende Person unter Berufung auf empirische Studien geltend macht – Begutachtungen nach § 4 Abs. 3 TSG in der Praxis auf Informationen erstrecken sollten, die nach heute geltenden diagnostischen Kriterien zur Feststellung der Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 TSG nicht relevant sind, ist dies durch § 4 Abs. 3 TSG nicht gedeckt. Vor allem wegen des regelmäßig intimen Charakters der Fragen, die in der Begutachtung nach § 4 Abs. 3 TSG gestellt werden, beeinträchtigt dies die Grundrechte der Betroffenen. Die Gerichte haben daher bei der Erteilung des Gutachtenauftrags und bei der Verwertung des Gutachtens insbesondere darauf zu achten, dass die Betroffenen nicht der Begutachtung hinsichtlich solcher Fragen ausgesetzt sind, die für die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 TSG keine Bedeutung haben. Außerdem darf das Gutachtenverfahren nach § 4 Abs. 3 TSG nicht dazu genutzt werden, die Betroffenen zu einer therapeutischen Behandlung ihrer (als vermeintliche Krankheit begriffenen) Transsexualität hinzuführen.“
BVerfG, 22.02.2017 -1 BvR 747/17- Abs. 12
Es ist deshalb fraglich, ob dadurch die Gutachten aus einem TSG-Verfahren der Mitwirkungspflicht der versicherten Person gem. SGB II (§§ 60 bis 65 SGB I) unterliegen, da sie keine medizinischen Unterlagen im Sinne des Sozialgesetzbuches (SGB) darstellen.
Die aktuelle Begutachtungsanleitung „Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualismus gem. ICD-10, F64.0“ (Stand 31. August 2020) sagt zu den Gutachten aus dem TSG-Verfahren folgendes (Seite 9, Abs. 2.3):
2.3 Transsexuellen-Gesetz (TSG)
https://www.mds-ev.de/fileadmin/dokumente/Publikationen/GKV/Begutachtungsgrundlagen_GKV/BGA_Transsexualismus_201113.pdf, Zugegriffen: 01.12.2020
Im Rahmen der sozialmedizinischen Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) spielen die Regelungen des TSG von 1980 nur eine untergeordnete Rolle. Die im Rahmen des TSG-Verfahrens erstellten psychiatrischen bzw. psychologischen Gutachten zur Vornamens- und Personenstandsänderung nehmen auftragsgemäß keine Stellung zur medizinischen Indikation geschlechtsangleichender Maßnahmen, wenngleich deren Inhalte zu psychosozialer Anamnese und Diagnosefeststellung für die sozialmedizinische Begutachtung hilfreich sein können.
Im TSG sind Fragen der medizinischen Behandlung bei Transsexualismus bzw. Geschlechtsdysphorie und damit möglicherweise zusammenhängenden Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht geregelt.